In den Bergen von Skarvheimen oder: Eine kurze Idee von Sommer

Fast jede Nachricht, die mich von zuhause erreicht, erzählt von Sonne und einer schier unerträglichen Hitze, die Deutschland momentan fest im Griff zu haben scheint. Eines kann ich sagen: Probleme mit Hitze haben wir gerade nicht so sehr.

Während ich hier in der Tomashelleren Hütte sitze und diesen Beitrag schreibe, sind es draußen gerade mal 5 Grad, der Wind peitscht den Regen mit 5-6 Beaufort um die Hütte und lässt den Schornstein heulen. So fühlt sich Sommer in Norwegen an. Aber ich will mich gar nicht beschweren. Seit unserem Aufbruch in Geilo vor 7 Tagen, war uns das Wetter sehr wohl gesonnen. Wir hatten fast keinen Regen, es war vergleichsweise warm und die Bedingungen für die Überquerung der hohen Bergketten auf dem Weg hierher waren ausgesprochen ideal. Lediglich der fortwährende Wind hat uns dann und wann ein wenig zu schaffen gemacht. Während wir insgesamt 134 Kilometer und unzählige Höhenmeter hinter uns gebracht haben, konnten wir immer wieder majestätische Ausblicke und atemberaubende Panoramen genießen, haben zahlreiche Rentiere und einen Adler beobachten können, diverse Schneehühner mit unserer puren Anwesenheit in Angst und Schrecken versetzt und ganz nebenbei auch noch den höchsten Punkt auf meinem Weg zum Nordkapp überschritten.

Und genau an diesem Tag möchte ich euch nun ein bisschen teilhaben lassen: Zweieinhalb Tage hatten wir ungeduldig in Geilo auf unsere Pakete gewartet und als sie dann am Dienstag Vormittag endlich vor uns lagen, gab es kein Halten mehr. Da wir die Wartezeit sehr ausgiebig zur Nahrungsaufnahme genutzt hatten, war auch mehr als genug Energie vorhanden und so legten wir die gut 50km bis zur Iungsdalshytta in nur 2 Tagen zurück. Von hier aus sollte es am nächsten Tag über den immerhin 1700m hohen geographischen Höhepunkt meiner Tour gehen. Die Wettervorhersage hätte kaum besser sein können: Sonne und angenehme Temperaturen um 10 Grad. Lediglich der Wind wehte mit konstanter Stärke. Da die zu erwartenden Schneefelder mit zunehmender Sonneneinstrahlung im Laufe des Tages nicht leichter zu queren sein würden, entschieden wir uns für einen sehr frühen Start. Um 5 Uhr klingelte der Wecker – ein mittlerweile sehr ungewohntes Geräusch – , wir frühstückten, packten die letzten Sachen und fegten die Hütte. Um halb sieben ging es dann hinaus in den noch frühen Morgen. Die Lichtstimmungen im morgendlichen Fjell in Worte zu fassen ist schwer und wird dem Eindruck, der sich uns bot, als wir langsam aber stetig entlang eines Bachlaufes nach oben stiegen, wohl nie gerecht werden. Man hat das Gefühl, als liefe man durch ein gold-grünlich schimmerndes Farbenmeer. In den zahlreichen Flüssen, kleinen Seen und Wasserfällen um uns herum spiegelte sich das Licht und ließ auf eine ganz bestimmte Art Raum und Zeit verschwimmen.

Wie so oft in letzter Zeit rauschte die Zeit während des Laufens nur so dahin. Mit jeder Steigung wurde die Umgebung ein wenig karger, das Grün verschwand langsam und wich den Braun- und Grautönen. Die Schneefelder wurden häufiger, die Ausblicke dafür immer imposanter. Gegen 11 Uhr legten wir auf 1400m eine erste größere Pause ein. Mit Blick auf einen etwas tiefer gelegenen See und die teilweise schneebedeckten Gipfel der umgebenden Bergketten, genossen wir hinter einer Kuppe eine wunderbar windstille Pause in der Sonne. Da kam für einen kurzen Moment fast ein kleines Sommergefühl auf – wenn man die obligatorische Fleecejacke bzw. den Wollpullover außer Acht lässt.

Aber trotz aller Sommergefühle lagen noch ein paar Höhenmeter vor uns und so hieß es bald: Regenjacke wieder an (gegen den Wind), Rucksack auf, Stöcke in die Hand und weiter geht’s. Gleich hinter der nächsten Ecke dann die große Überraschung: An der absolut steilsten Stelle des ganzen Tages erstreckte sich über mehrere hundert Meter ein riesiges Schneefeld. Es fiel gut 50 Meter tief ab, hinein in einen noch teilweise gefrorenen See. Hier abzurutschen würde wohl unweigerlich in einem sehr kalten Bad enden. Zu allem Übel hatte sich auch noch ziemlich genau in der Mitte des Feldes ein Grad gebildet, den zu übersteigen sicherlich eine gewisse Herausforderung werden würde. Naja, half ja nix, rüber mussten wir in jedem Fall, denn ein Umlaufen war schlicht keine Option. Also habe ich all meinen Mut zusammengenommen, meinem Herz einen kleinen Schups gegeben und langsam aber sicher einen Fuß vor den anderen gesetzt. Die Sonne hatte einiges an Arbeit geleistet und der Schnee war bereits unangenehm sulzig. „Wie gut, dass wir so früh losgegangen sind“, schoß es mir nicht nur einmal durch den Kopf. Für viel mehr Gedanken war auch kein Platz. Schritt für Schritt arbeiteten wir uns voran, zwischendurch immer mal wieder kurz innehaltend, um kurz die angespannten Arm- und Beinmuskeln zu entspannen und einmal tief durchzuatmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten wir es dann schließlich geschafft. Puh, ich glaube auf meiner bisherigen Tour gab es noch keinen Moment in dem ich so angespannt war.

Aber noch waren wir nicht am Ziel. Stetig stiegen wir weiter hoch, nun mittlerweile die Passhöhe stetig vor Augen. Und damit auch etwas, das – um eine Computerspiel Analogie zu bemühen – meinen ganz persönlicher Endgegner darstellte: Ein riesiges Blockfeld. Die letzten zweihundert Höhenmeter bestanden ausschließlich aus großen bis riesigen Felsen. Wer mich kennt, weiß, dass meine Beine nicht all zu lang sind. Und meine Schrittlänge wird mit gut 20kg auf dem Rücken auch nicht unbedingt größer. Es soll Menschen geben, denen macht es sogar Spaß solche Blockfelder zu queren. Nora gehört dazu. Sie sagt, es läge an ihren Bergziegen-Genen oder vielleicht auch einfach an den längeren Beinen. Während sie also fröhlich in einer sagenhaften Geschwindigkeit nach oben hüpfte, krabbelte ich eher auf allen Vieren, immer hoffend nicht in einen der (in meiner Wahrnehmung) riesigen Zwischenräume zu fallen. Hört sich nicht elegant an – war es auch nicht. Aber, jedes Blockfeld hat mal ein Ende und so kam auch ich irgendwann auf der Passhöhe an.

Es war ein besonderes Gefühl dort oben zu stehen. So viele Gedanken strömten durch meinen Kopf. All die Kilometer, die ich bereits ausschließlich auf meinen zwei Füßen zurückgelegt hatte (knapp über 500 zu dem Zeitpunkt), all die Erlebnisse und Begegnungen der letzten vier Wochen. Wäre es nicht so enorm windig gewesen, hätte ich gerne ein bisschen dort oben gesessen und meine Gedanken kreisen lassen. Aber dafür war es eindeutig zu kalt und außerdem wartete ja noch der Abstieg. Und wenn es über Felsen hinaufgeht, geht es meist über selbige auch wieder hinunter. Nicht wenige können sich wohl vorstellen, wie froh ich über jedes noch so kleine Schneefeld war, das mir ein paar dieser fiesen Brocken ersparte.

Langsam aber sicher arbeiten wir uns nach unten und nach einer guten weiteren Stunde kam schließlich gegen 14:30 Uhr die Bjorndalshytta in Sicht. Außer uns war noch niemand da, doch Ofen und Hütte waren noch ein wenig warm von den vorherigen Besuchern. Wir entfachten ein neues Feuer und feierten bei Pfannkuchen und Kaffee diesen anstrengenden aber auch wirklich wunderbaren Tag. Denn ja, es war teilweise schwierig und ich habe auch an der ein oder anderen Stelle vielleicht ein klein wenig geflucht. Aber das wiegt in keinem Fall die vielen besonderen Eindrücke und Ausblicke auf. Wir sind morgens von grünen, frühsommerlichen Wiesen gestartet und immer weiter in die schließlich fast völlig karge und noch winterliche Steinwüste aufstiegen. Haben uns vom Wind durchschütteln lassen und hinter großen Felsen kurze sonnige, windstille Momente genossen. Und sind schließlich erschöpft aber glücklich an dieser sehr gemütlichen Hütte mitten im Nichts angekommen. Ich für meinen Teil kann sagen: Mehr als das, brauche ich eigentlich nicht.

Nach einer erholsamen Nacht ging es für uns am nächsten Tag nicht ganz so früh hinunter nach Breistølen und dann gleich wieder hinauf auf den nächsten Höhenzug. Abends bauten wir unsere Zelte in der Abendsonne an einem See auf und hatten uns gerade in unsere Schlafsäcke verzogen, als ich draußen ein wohl bekanntes Geräusch hörte. Und richtig: Als ich leise den Reißverschluss meines Zeltes aufgemachte, konnte ich sie schon sehen. Nur gut 50m von uns entfernt, zog langsam eine große Herde Rentiere vorbei. Wir beobachten sie, bis sie schließlich hinter dem nächsten Berghang verschwunden waren und gingen danach wohl beide mit dem Gefühl schlafen, mal wieder einen dieser wirklich magischen Momente erlebt zu haben. Am Samstag ging es weiter durch die Hochtäler nach Sulebu, am Sonntag dann begleiten von einem gewaltigen Gewitter mit dazugehörigem Platzregen hinunter ins Tal. Nur um dann heute die gut 1000 Höhenmeter wieder hinaufzusteigen und nun gemütlich bei Kerzenschein in der Tomashellerenhütte zu sitzen. Leider hatte das Gewitter einen Wetterwechsel im Gepäck, sodass uns in den kommenden Tagen wohl wieder sehr niedrige Temperaturen erwarten. Aber gut, wir hatten ja unseren kleinen Sommermoment.

Von hier aus führt uns unser Weg morgen nach Bygdin und dann in drei bis vier Tagen hinab nach Vinstra. Von dort aus wird Nora wieder nachhause fahren und ich werde mich bepackt mit neuem Essen und neuen Karten gen Rondane aufmachen.

Nachtrag: Ich habe diesen Beitrag am Montag Nachmittag geschrieben. Als ich am Dienstag Morgen aufwachte und verschlafen aus dem Fenster guckte, wurde ich von gut 5cm Neuschnee begrüßt. Das Thermometer zeigte -2Grad. Soviel dann zum Thema Sommer. Wohl bemerkt, wir haben den 2. Juli.

6 Gedanken zu “In den Bergen von Skarvheimen oder: Eine kurze Idee von Sommer

  1. Kirsten

    Ihr Lieben, heute habe ich mir endlich die Zeit genommen und den Blog gelesen. Von Anfang an. Jetzt ist mindestens eine Stunde rum und ich bin gedanklich voll in Norwegen. Heute Morgen hatten wir in Flensburg 12 Grad, nur dass Ihr´s wisst. Aber Neuschnee gab´s keinen. Ich wünsche Dir, Swantje, weiter god tur! Ich habe Noras Wanderbegleitung neulich auch sehr genossen. Alles Gute! Kirsten

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  2. Philipp

    Hallo Swantje,
    Du schreibst wirklich schön und jedes Mal wenn ich deine Einträge lese überkommt mich dieses überwätigende Bedürfnis meinen Rucksack zu packen und selber loszuziehen. Über das Mühsal das dazu gehört liest man schließlich gerne mal drüber weg. Auf das Blockwerk bin ich zum Beispiel überhaupt nicht neidisch (auf den ganzen Rest schon 😉 )

    Auf den/die nächsten Einträge bin ich besonders gespannt, in den Rondane Nationalpark will ich auch unbedingt mal.
    Wie sieht Deine Strecke danach aus, gehst du durch das Dovre Fjell weiter? Hoffentlich siehst du dort ein paar der Moschus Ochsen.

    Euch zwei noch Viel Spaß und Gutes Wetter!

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    1. Hej Philipp, vielen Dank für das Feedback.
      Ja, ich freue mich auch schon sehr auf die Rondane Region. War letztes Jahr bereits dort und es hat mir sehr gut gefallen. Allerdings wird mein Weg mich sehr südlich führen, d.h. ins Dovrefjell geht es dieses Mal nicht. Ich möchte mir gerne die Femunden Region ein bisschen genauer ansehen.
      Viele Grüße aus Norwegen

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  3. Ute & Christian

    Swantje, keep going! Ihr macht das echt gut. Eine Frage: wie beziehungsweise womit schreibst Du gerätetechnisch? So lange und schöne Beschreibungen, mit dem Handy in der Hütte? Glaub‘ ich ja nicht. Auf jeden Fall: weiter so und liebe Grüße aus Hamburg! Ute & Christian.

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