Spätsommerliches Wechselbad

Es ist nun schon so lange her, seit ich meinen letzten Blogbeitrag geschrieben und veröffentlicht habe. Irgendwie bin ich seit Umbukta nie so recht zum Schreiben gekommen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen an meinem Pausetag in Sulitjelma etwas Neues zu schreiben, aber dann war ich so sehr mit Essen, Waschen, Sauna, Entspannen, Schuhe wachsen und all den anderen wichtigen Dingen beschäftigt, dass am Ende einfach keine Zeit mehr übrig war. Oder meine Prioritäten waren einfach andere. Zudem habe ich sehr lange darüber nachgedacht, worüber ich eigentlich schreiben möchte. Der zehn Tage lange Abschnitt von Umbukta nach Sulitjelma war so divers, so abwechslungsreich, dass mir einfach kein gutes Thema einfallen wollte, um die gesamte Passage irgendwie in Worte zu fassen. Nach langem Überlegen habe ich mich nun entschieden mal was Neues zu wagen und tatsächlich mal zu jedem einzelnen Tag ein paar Worte zu verlieren. Auch um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie unterschiedlich jeder einzelne Tag hier wirklich ist.

Hinweis: Im Verlauf des Beitrages erwähne ich bestimmten Hütten, die ich besucht oder in denen ich geschlafen habe. Wenn ihr einen besseren Eindruck davon bekommen möchtet, wie die eigentlich von innen aussehen und wo sie liegen, kann ich euch die Seite https://ut.no ans Herz legen. Die Seite habe ich während meiner Planung viel benutzt und finde sie sehr übersichtlich.

20. August 2019

Der Tag startet mit einem letzten leckeren Frühstück in der Fjellstue. Ab morgen gibt es wieder Müsli, darum heißt es jetzt noch mal all die frischen Lebensmittel wie Butter, Brot, Gurken und Co. zu genießen. Danach verstaue ich mit Mühe und Not meine Ausrüstung und den Inhalt des neuen Versorgungspaketes in meinem Rucksack, verabschiede mich von Thor Inge, Solve und Maria und bedanke mich noch einmal ganz herzlich für die Gastfreundschaft. Sehr weit komme ich nicht, denn nach lediglich 200m stoppe ich an Hannes und Franzis Bus. Die Beiden frühstücken gerade und das Rührei sieht so verführerisch aus, dass ich spontan eine erste Pause einlege. Man soll ja immer gut gestärkt auf eine Wanderung gehen. Danach geht es dann aber wirklich los. Es ist sonnig und mit um die 17 Grad relativ warm, sodass ich gleich beim ersten Anstieg ordentlich ins Schwitzen komme. Leider lag bisher jeder der Orte im denen ich Pause gemacht und ein Paket bekommen habe in einem Tal. Das ist logisch, macht aber das Loslaufen mit voll beladenem Rucksack nicht unbedingt angenehmer. Die Steilheit und die Anzahl der Höhenmeter variieren (wobei der Aufstieg von Rjukan nach wie vor der Spitzenreiter ist), anstrengend ist es aber in jedem Fall. Weil ich das weiß und außerdem die Wettervorhersage für den Nachmittag und Abend eher miserabel ist, habe ich mir vorgenommen heute nur einen halben Tag zu gehen und die Nacht in der Sauvasshytta zu verbringen. Sobald ich den ersten Anstieg hinter mir und die Baumgrenze verlassen habe, öffnete sich die Landschaft. Mit jedem Meter wird es schroffer, zeitgleich zieht der Himmel bedrohlich zu. Nach gut 3 Stunden kommt die Hütte in Sicht, noch trennen uns jedoch einige Höhenmeter. Das letzte Stück geht es über Felsen, der Wind nimmt zu und der Himmel verfärbt sich immer in Richtung dunkelgrau. Gerade als die ersten Tropfen fallen, erreiche ich die Hüttentür und stolpere wortwörtlich über Stefan. Anders als ich, will er heute noch ein bisschen mehr schaffen und macht sich nach einer kurzen Mittagspause gerade wieder auf den Weg. Ich betrete die Hütte und bin sofort schockverliebt. Sie ist klein und gemütlich, hat einen traumhaften Blick über den angrenzenden See und die umgebenden Berge und das Sofa sieht einladend gemütlich aus. Hier bleibe ich. Ich koche Tee, feuere den Ofen an und mache es mir bequem. Draußen prasselt der Regen an die Scheibe und ich könnte mir wohl keinen Ort vorstellen an dem ich gerade lieber wäre. Ich nutze die Zeit meinen letzten Artikel zu überarbeiten, Bilder zu sortieren und Kakao zu trinken. Niemand weiteres kommt, ich genieße die Zeit für mich und ich gehe früh schlafen, während draußen der Wind an der Hütte rüttelt.

21. August 2019

Beim Aufstehen ist die Hütte und die Berge noch in Nebel gehüllt. Ich starte früh und werde beim Anstieg auf die Passhöhe von einigen Rentieren begleitet. Auch wenn ich mich im Laufe der letzten Monate sehr an den Anblick dieser besonderen Tiere gewöhnt habe, freue ich mich doch immer wieder, wenn sie meinen Weg kreuzen. Schnell erreiche ich den höchsten Punkt und vor mir öffnete sich der Blick in ein neues grünes Tal. In der Ferne sehe ich einige Regenschauer und – wie sollte es anders sein – einen Regenbogen. Ich glaube, ich habe selten in meinem Leben so viele Regenbögen gesehen wie dieser Tage. Und immer bin ich für einen Augenblick versucht den Weg kurz zu verlassen und mich zu seinem Ende zu begeben. Vielleicht ist ja doch etwas dran an der Sache mit dem Topf voller Gold…Nach viel Auf und Ab und einigen Sumpfpassagen, erreiche ich am frühen Nachmittag die Kvitsteindalstunet Hütte. Sie wirkt brandneu, ist sehr modern eingerichtet und gleicht eher einem Einfamilienhaus, als einer Berghütte. Mir fehlt ein bisschen die Gemütlichkeit, ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass das ganz anders ist, wenn man als Gruppe unterwegs ist. Während meiner Mittagspause geht draußen ein gewaltiger Schauer nieder und ich bin enorm froh wieder einmal exakt den richtigen Moment für meine Pause ausgewählt zu haben. Als der Schauer abgeklungen ist, mache ich mich wieder auf den Weg, ich möchte noch einige Kilometer schaffen. Nach einer halben Stunde kommt mir eine Gruppe von drei Männern entgegen, die ersten Menschen, denen ich seit gestern Mittag begegne. Wir kommen ins Gespräch, ich berichte von meiner Tour, sie von ihrer. Ich werde das Gefühl nicht los, dass mir einer der Männer bekannt vorkommt, verwerfe den Gedanken aber relativ schnell wieder. Wir verabschieden uns, und jeder geht seiner Wege. Wen ich da tatsächlich im Fjell getroffen habe, sollte ich dann am nächsten Tag erfahren. Nach gut zwei Stunden und einigen weiteren Höhenmetern erreiche ich die Kvepsendalskoia, eine kleine Rasthütte. Sie ist einfach ausgestattet, mit zwei breiten Holzbänken und einem Ofen. Eigentlich will ich noch ein wenig weiter und in meinem Zelt schlafen, aber dann beginnt es draußen abermals zu regnen und der Blick auf den umgebenden Himmel lässt auch nicht vermuten, dass in den nächsten Stunden eine Besserung eintritt. Also entschließe ich mich kurzerhand zu bleiben, rolle meine Isomatte auf einer der Bänke aus, feuere den Ofen an und verbringe einen enorm gemütlichen Abend in der kleinen Hütte. Hier oben, mitten in den Bergen, fühle ich mich ein bisschen wie der letzte Mensch auf der Erden. In der Nacht erwache ich, als es wiederholt an der Tür scheppert. Durchaus ein kleiner Schreckmoment. Ich schäle mich widerwillig aus meinem Schlafsack und schaue aus der Tür. Und natürlich ist es kein Troll oder ähnliches Fabelwesen, sondern lediglich die Schneeschaufel, die nicht ganz fest in ihrer Halterung an der Wand ist und in dem auffrischenden Wind in Bewegung geraten ist. Nachdem dieser Störenfried beseitigt ist, schlummere ich noch einige Stunden entspannt vor mich hin.

22. August 2019

Der Wind in der Nacht hat ganze Arbeit geleistet. Als ich meinen Kopf aus der Hütte stecke, ist der Himmel wolkenklar. Nur ein wenig Frühnebel hängt noch an den Berggipfeln. Ich mache mich auf und genieße die Morgenstimmung entlang der Seen und Berge in dem langgestreckten Hochtal. Nach einiger Zeit entdecke ich in einiger Entfernung vom Wanderweg ein Zelt und einen Wanderer, der im ersten Sonnenlicht seinen Kaffee trinkt – bin ich also doch nicht der einzige Mensch hier oben. Ich steige ins nächste Tal ab und werde eine ganze Zeit von einer Herde Rentiere begleitet. Immer wieder kreuzen sie meinem Weg. Wenn ich stehenbleibe, um sie passieren zu lassen, bleiben sie ebenfalls stehen. Nach gut 2 Stunden, stolpere ich über Stefans Zelt. Er ist offensichtlich noch im Tiefschlaf, denn es braucht einige energiegeladene „Good morning“ Rufe, bis aus dem Inneren des Zeltes eine Reaktion kommt. Wir trinken einen Kaffee zusammen und er erzählt mir voller Begeisterung, dass er gestern Lars Monsen (seines Zeichens DER Abenteurer und Outdoorheld Norwegens) getroffen hat. Ich muss schmunzeln, als ich das Foto sehe. Den hab ich dann wohl auch getroffen. Jetzt weiß ich auch warum mir der Typ mit dem Bart und der wilden Mähne so bekannt vorkam. Nach dem Kaffee geht es für mich weiter. Die Sonne lacht vom Himmel und ich bin bester Laune. Meine Füße tragen mich wie von selbst und mein Rucksack fühlt sich heute am dritten Tag schon deutlich leichter an. Mittags halte ich an der Virvasshütta und esse auf der Terrasse ein paar Knäckebrote mit Käse (Mittag ist meine absolute Lieblingsmahlzeit des Tages). Ich komme mit drei älteren Wanderern ins Gespräch, die auf einer Tagestour sind und ebenfalls Pause machen. Danach mache ich mich zügig an den nächsten Aufstieg, so gut wie es heute läuft, möchte ich gerne noch ein bisschen was schaffen. Der Wetterbericht für den kommenden Tag sagt einiges an Regen voraus, da ist es schön, es nicht all zu weit bis zu nächsten Hütte zu haben. Ich steige durch vollbehangene Blaubeerbüsche hinauf, auf jeden Höhenzug folgt ein weiterer. Aber meine Füße machen mit und die Aussicht entschädigt für einiges. Nachdem ich den höchsten Punkt hinter mir gelassen habe, öffnete sich der Blick auf das Saltfjell. Von hier aus kann ich ihn fast sehen, den Polarkreis. Spätestens übermorgen werde ich diesen Meilenstein überschreiten. Ein besonderes Gefühl. Da das Wetter gut ist und die Aussicht atemberaubend, suche ich mir noch sehr weit oben an einem Bachlauf einen Zeltplatz. Ich wasche mich am Bach und genieße die Sonne und den Ausblick. Stefan kommt vorbei, will aber nach dem späten Start am Morgen lieber noch ein wenig laufen. Nach dem Abendessen verziehe ich mich in meinen Schlafsack, lasse aber die Tür offen und genieße den Blick auf die Berge und die untergehende Sonne. Ich glaube, viel besser könnte es mir gerade nicht gehen. Gerade als ich endgültig das Zelt zumachen und mich schlafen legen will, entdecke ich wenige Meter neben meinem Zelt eine Gruppe Rentiere, die friedlich grasen. Was ein wunderbarer „Gute Nacht“ Gruß.

23. August 2019

Wie erwartet regnet es am nächsten Morgen. Ich packe meine Sachen im Zelt zusammen. Es ist eine wirkliche logistische Herausforderung in einem kleinen Zelt einen Rucksack von stattlicher Größe zu packen. Zum Glück musste ich das in diesem Jahr nicht all zu oft machen. Dann mache ich mich im Regen an den Abstieg, mein Ziel ist erst einmal die 12 Kilometer entfernte Bolnastua. Es regnet ohne Unterlass. Nach einer Stunde komme ich bei Stefan vorbei, aber da es erst 8 Uhr ist, lasse ich ihn noch ein wenig schlafen. Der Weg zieht sich. Nach einigen Kilometer kommt eine Brücke und dann auf der anderen Talseite ein Schotterweg. Langsam weicht meine Regenjacke durch und die Kilometer werden nicht weniger. Ich halte an und krame meine Kopfhörer raus. Wie so oft an solchen Tagen, hilft es enorm ein wenig Musik auf die Ohren zu bekommen. Da sieht die Welt gleich viel heller aus. Der Wanderweg trennt sich wieder von der Schotterstraße und nach knapp 3,5 Stunden und einem letzten steilen Abstieg, stehe ich vor der Bolnastua. Ich bin bis auf die Haut nass, aber guter Dinge. Drinnen feuere ich den Ofen an, hänge meine nassen Sachen vor dem Ofen auf und mache mir eine Suppe. Ich nutze den vorhandenen Handyempfang um meinen letzten Blogartikel hochzuladen und zuhause anzurufen. Dann steht auch schon ein ziemlich nasser Stefan vor der Tür. Ich räume ein wenig Platz vor dem Ofen frei und wir genießen eine ziemlich lange Pause. Erst als draußen der Regen aufgehört und unsere Sachen wieder trocken sind, machen wir uns am späten Nachmittag auf den Weg hinauf ins Saltfjell. Die Landschaft ist atemberaubend, rechts und links hohe Berge, in der Mitte ein breites Hochtal, das von kleinen Seen und Felsbrocken dominiert wird. Die Sonne guckt gen Abend noch mal vorbei und wir zelten schließlich mit Blick auf die kleine Hütte und den Holzbogen, die den Polarkreis markiert (beziehungsweise die Stelle an der dieser vor ein paar Jahren noch lag). Es ist schön nach vier Tagen endlich mal wieder gemeinsam zu zelten. Draußen ist es leider ein wenig zu kalt, aber wir haben im Laufe der Zeit das Gespräch von Zeltwand zu Zeltwand quasi perfektioniert. Nicht selten frage ich mich, wie es wohl für andere wirken muss, wenn sie vorbeikommen und eigentlich nur zwei Zelte sehen, die in ein intensives Gespräch verwickelt sind.

24. August 2019

Wie üblich bin ich am nächsten Morgen schon gegen 6 Uhr wach. Draußen ist es neblig und wolkenverhangen. Ich genieße daher meinen Kaffee im Zelt, frühstücke und mache mich dann auf den Weg gen Polarkreis. Es ist ein besonderes Gefühl am frühen Morgen ganz alleine durch diesen Bogen zu gehen. Mir gehen unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Allein die Tatsache, dass ich jeden Meter von Lindesnes hierher zu Fuß gelaufen bin, ist unfassbar. Und wenn ich dann an all die Erlebnisse, Begegnungen und Eindrücke denke, habe ich das Gefühl scheinbar zu platzen. Ich realisiere, dass ich wohl sehr lange brauchen werde, um all das zu verarbeiten. Das Wandern, das Unterwegs- und Draußsensein ist in den letzten Monaten zu meinem Alltag geworden. Mein Zuhause und die Arbeit sind gefühlt ein ganze Leben entfernt. Ich mache einige Fotos und laufe zügig weiter. Schließlich ist ein noch ein Stück bis zum Nordkap. Erst einmal geht es jedoch durch das Saltfjell. Ich kann jedem nur raten dieser Region mal einen Besuch abzustatten (ja, ich weiß, es ist nicht das erste Mal, dass ich das schreibe). Aber es ist wirklich wunderschön. Ich folge den ganzen Tag einem Tal, das zum Nachmittag immer enger wird. In der Mitte des Tales läuft ein Fluß, der mal langsam, mal reissend dahinfließt. Meist gehe ich unterhalb der Baumgrenze, mein Weg ist abermals gesäumt von Sträuchern voller Blaubeeren. Gegen Mittag hat sich die Sonne durch die Wolken gekämpft und ich mache Mittagspause an der Krukkistua. Ich überlege zum wiederholten Male wie weit ich heute noch gehen kann. Eigentlich habe ich es auf dieser Reise immer geschafft, nicht all zu sehr an den kommenden Tag zu denken. Heute gelingt mir das nicht. Denn für morgen ist Starkregen angesagt. Den ganzen Tag. Das ist unangenehm, aber grundsätzlich kein Problem. Wenn es nicht genau der Tag wäre, an dem ich über den Pass hinunter nach Lønstua müsste. Und aus diversen Berichten weiß ich, dass das „Tal der Steine“ seinen Namen nicht zu unrecht trägt. Wer meine Blogartikel schon ein wenig länger liest, weiß, dass es eine Sache gibt, die ich gar nicht mag – und das sind Blockfelder. Nicht auszudenken, wenn sie auch noch nass sind. Also schwirren mir den Tag über die unterschiedlichen Optionen im Kopf herum. Soll ich versuchen noch heute im Trockenen über den Pass zu laufen und direkt dahinter zu zelten? Das würde einen enorm langen und harten Tag bedeuten. Oder soll ich lieber morgen in der Saltfjellstua einen Pausetag einlegen? Oder den Umweg über Semska gehen, der am Ende einen 10km Umweg über Asphalt auf der E6 bedeutet? Ich überlege hin und her und habe mich immer noch nicht entschieden, als ich schließlich gegen 16Uhr an der Saltfjellstua ankomme. Zeit wäre noch genug. Aber irgendwie mag ich nicht mehr. Ich entscheide mich zu bleiben und morgen je nach Wetterlage wahrscheinlich über Semska zu gehen. Vielleicht regnet es ja auch nicht. An der Hütte treffe ich zwei Frauen, die ein ähnliches Problem beschäftigt. Sie entschließen sich jedoch noch abends die 19km Richtung Semska zu laufen. Ich habe kein gutes Gefühl, als sie aufbrechen, denn sie haben kein Zelt dabei und gegen 21:30 Uhr wird es dunkel. Aber sie werden wissen was sie tun. Kurz darauf kommt Stefan vorbei und sagt, dass er noch ein kleines Stück gehen und dann zelten wolle. Ich solle ihn morgen früh wecken, wenn ich losgehe. Den Abend verbringe ich mit fünf norwegischen Freundinnen in der Hütte. Es ist ein fröhlicher, heiterer Abend, ich werde zum Essen eingeladen (da sagt man nie nein) und ich schlafe entspannt ein.

25. August 2019

Als ich aufwache, höre ich bereits den Regen auf dem Hüttendach prasseln. Ach, das wird ein schöner Tag…Ich frühstücke, packe meine Sachen, verabschiede mich und trete hinaus in den Regen. Die Wolken hängen tief, die Sicht ist schlecht. Aber, wer am Nordkap ankommen will, muss auch durch solche Tage gehen. Ich bezwinge schnell den ersten Anstieg und erreiche nach 2km die Wegkreuzung. Kurz überlege ich doch den höhere Weg über das Tal der Steine zu nehmen und damit 10km zu sparen. Da erfasst mich ein heftige Windböe und zeigt mir deutlich, dass heute das Balancieren auf nassen Steinen wirklich keine all zu gute Idee ist. Bevor ich weiterlaufe, wundere ich mich kurz, dass ich Stefans Zelt nirgendwo entdecke. Seltsam. Wollte er nicht maximal bis hierher laufen? Er wird wohl kaum vor mir losgegangen sein (das passiert nämlich nie). Aber gut, ich will weiter, noch liegen gut 27km bis zur warmen Hütte vor mir. Nach dem ersten deftigen Anstieg verläuft die Route durch ein recht ebenes Hochtal. Das macht das Gehen leicht. Der Untergrund ist überwiegend steinig, aber es gibt wenige reine Felspassagen. Die kommenden Stunden verlaufen wie in Trance. Ich laufe zügig bis schnell, der Wind und Regen zerrt an meiner Regenkleidung, die schon nach wenigen Stunden völlig durchgeweicht ist. Aber solange ich in Bewegung bleibe, ist es nicht kalt. Lediglich zweimal in den folgenden fünf Stunden halte ich kurz an, um kurz einen Müsliriegel zu essen, für längere Pausen ist es einfach zu ungemütlich. Als ich schließlich um 13 Uhr an die Straße erreiche, bin ich erleichtert. Ich bin extrem gut vorangekommen und abgesehen von zwei kleinen Flußquerungen war der Weg denkbar einfach. Nun liegen lediglich noch 10km Straße vor mir. Der größte Spaß wird das sicher nicht. Es ist die E6 und leider ist auch am Sonntag richtig gut was los. Aber, ich bin guter Dinge und während die Autos an mir vorbeirauschen, arbeite ich mich in zwei weiteren Stunden bis zur Lønstua. Um kurz nach 15 Uhr stehe ich endgültig vor der Hütte, schließe auf, schäle mich aus meinen nassen Klamotten und feuere den Ofen an. Von jetzt an heißt es nur noch entspannen, Tee trinken und warm werden. Kurz nach mir kommt Stefan durch die Tür. Er ist weiß um die Nase und sichtlich geschafft. Er hat das gemacht, was ich gestern auch kurz erwogen hatte: Um nicht im Nassen über die Steine balancieren zu müssen, ist er gestern noch weitergelaufen. Leider kam dann über die gesamte Strecke kein einziger möglicher Zeltplatz. Somit ist er weit über 40km gelaufen und hat erst wenige Kilometer von der Hütte in völliger Dunkelheit sein Zelt aufgebaut. Und dann hat sein Körper ihm in den kommenden Stunden deutlich gezeigt, was er von so einer Überlastung hält. Bin ich froh, dass ich mich anders entschieden habe. Auf mein Bauchgefühl kann ich mich eindeutig verlassen.

26. August 2019

Heute sind wir beide ein wenig matschig und draußen regnet es immer noch. Auch wenn wir sonst für jedes Abenteuer zu haben sind, entscheiden wir uns gegen eine mögliche Abkürzung ins Junkerdalen und gehen langsam und gemächlich den langen aber einfachen Weg über die Graddis Fjellstue. Auch weil wir im Stillen hoffen, dort vielleicht einen Kaffee und eine trockenen Platz für eine Mittagspause zu ergattern. Leider wirkt alles sehr verlassen und auch auf unser Klingeln an der Tür reagiert niemand. Also machen wir nur unter einem einsamen Gartenpavillon kurz Pause und gehen dann weiter. Stefan zieht das Tempo an, ich laufe langsam alleine weiter. Hat auch seine Vorteile, denn als ich Nachmittags nass und müde an der Trygvebue ankomme, ist nicht nur der Ofen schon an, sondern auch die Wassereimer aufgefüllt und der Tee fertig. Ein bisschen wie Nachhause kommen.

27. August 2019

Der Regen hat endlich aufgehört. Noch hängen die Wolken im Tal, aber schon kurz nachdem wir gestartet sind, geben sie langsam den Blick frei auf die steilen Hänge des Junkerdalen. Während sich der Pfad durch tiefes, nasses Gras, Farn und Blumen schlängelt (was nach wenigsten Schritten dazu führt, dass ich von der Hüfte abwärts klitschnass bin), rauschen von den Hängen unzählige Wasserfälle. Es ist einfach traumhaft. Ständig muss ich staunend stehenbleiben. Es wird minütlich wärmer und sonniger. Nach nur acht Kilometern stehen wir plötzlich vor der Hütte in Argalad. Es ist eine der ältesten DNT Hütten Norwegens, sie ist klein und urgemütlich. Wenn es nicht so früh am Tag und das Wetter so gut wäre, würde ich sofort bleiben. Sie liegt umgeben vom hohen Hängen direkt an einer Flußbiegung und man fühlt sich wie in einer anderen Welt. Wir entscheiden uns für eine frühe Mittagspause und während wir in der Sonne am Fluß liegen, Blaubeeren essen und Stefan Gitarre spielt (ja, es gibt in der Hütte sogar eine Gitarre), ist es plötzlich wieder da, das Sommergefühl. So schnell kann es gehen. Noch vor einem Tag war es kalt, nass und windig, jetzt ist plötzlich der Sommer zurück. Entsprechend lassen wir es den ganzen Tag gemütlich angehen und genießen den Weg entlang des immer breiter werdenden Tales. Gegen Abend stehen wir dann am Ufer des Balvatnet, eines großen Sees an dessen anderer Seite die Straße nach Sulitjelma beginnt. Es ist ein magischer Anblick. Das Wasser glänzt silbern-bläulich im Abendlicht, am Horizont erheben sich die hohen Berge und der Blåmannsisen Gletscher nördlich von Sulitjelma. Während ich von der Terrasse der Balvasshytta den Sonnenuntergang bewundere, kann ich mal wieder nicht so richtig fassen, was für ein wahnsinniges Glück ich habe, dass ich diese Wanderung machen darf.

28. August 2019

Auch heute morgen scheint die Sonne und ich mache mich früh auf den Weg. Heute könnte ich, wenn ich mich ein wenig ranhalte, den Campingplatz in Sulitjelma erreichen. Es sind zwar noch 34 Kilometer, aber fast die Hälfte davon geht über eine Schotterstraße und ist daher recht schnell zu gehen. Erst einmal muss ich allerdings den See umrunden. Es ist sonnig, mit über 20 Grad ungewöhnlich warm und ich genieße den Weg in vollen Zügen. Der Blick über den See auf die hohen Gebirge ist auch am zweiten Tag noch atemberaubend. Aber ich komme langsamer voran als gedacht. Erst gegen 15Uhr erreiche ich die Straße und die Aussicht jetzt noch weitere 15km Schotter zu laufen motiviert mich nicht so sehr. Auch wenn der Gedanke an eine Dusche verlockend ist. Also lasse ich es ruhig angehen und suche mir nach einigen Kilometern einen Zeltplatz am Fluß. Ich bade (auch eine gute Alternative zur Dusche), sitze in der Sonne und freue mich, als zwei Stunden später auch Stefan um die Ecke biegt. Wir sitzen lange draußen vor dem Zelt und genießen die Abendsonne mit dem Wissen, dass es sicherlich einer der letzten warmen Sommerabende unserer Tour ist.

29. August 2019

Lediglich acht Kilometer sind es an diesem Tag, bis die erste Dusche nach zehn Tagen auf mich wartet. Was ein wunderbares Gefühl. Kurz vor dem Campingplatz bekomme via Facebook ich eine Nachricht von einem mir unbekannten Menschen. Er habe mein Paket bei der Post abgeholt und es liege auf dem Campingplatz bereit zur Abholung. Wow! Nicht nur, dass sich Björn Thomas (seines Zeichens der Inhaber besagten Campingplatzes) die Mühe macht, mein Paket bei der Post abzuholen, er sucht mich zudem auch noch auf Facebook und schreibt mir. Ich bin mal wieder vollkommen überwältigt. Entsprechend herzlich ist wenige Minuten später auch der Empfang. Wir beziehen eine kleine Hütte, duschen und übergeben unsere schwitzige, stinkigen Sachen an die Waschmaschine. Björn Thomas leiht uns mit völliger Selbstverständlichkeit sein Auto, damit wir im sechs Kilometer entfernten Supermarkt einkaufen können. Schon ein sehr seltsames Gefühl nach so vielen Monaten plötzlich wieder hinter dem Steuer zu sitzen. Ich bin ein wenig berauscht von der Geschwindigkeit. Und dabei fahre ich auf der kleinen, kurvigen Straße maximal 50km/h. Im Supermarkt müssen wir uns wahnsinnig disziplinieren, um es nicht zu übertreiben. So viele kulinarische Verlockungen. Am Ende unseres Einkaufes könnte man denken, dass wir eher 10 statt 2 Tage bleiben wollten. Aber gut, Wandern macht hungrig. Den Rest des Tages verbringen wir entsprechend mit Essen und Entspannen. Wir backen Pizza (nicht ohne Björn Thomas als Dank für seine Unterstützung ein Stück anzugeben), sortieren unsere Sachen und lassen die letzte Etappe noch mal Revue passieren. Und als Highlight des Tages geht es abends noch mal in die Sauna. Selbstverständlich inklusive kaltem Bad im See.

Es ist immer wieder so eindrucksvoll für mich im Nachhinein darüber nachzudenken, wie abwechslungsreich jede einzige Etappe ist. Wie voll von Erlebnissen, Begegnungen und Eindrücken. Und ich habe hier bei Weitem nicht alles erzählt.

Mittlerweile bin ich schon ein ganzes Stück weiter gelaufen. Von Sulitjelma ging es hinein nach Schweden, durch den Padjelanta Nationalpark und über den Kungsleden bis nach Abisko. Der Sommer hat sich endgültig verabschiedet und auch sonst ist alles ein wenig anders. Aber dazu mehr in meinem nächsten Beitrag.

2 Gedanken zu “Spätsommerliches Wechselbad

  1. Sandra

    Liebe Swantje, ich fiebere weiter mit viel Freude und nicht weniger Ehrfurcht mit!
    So weit hast du es schon geschafft!
    Ich laufe nächste Woche rund Bornholm und werde bei diesem „Spaziergang“ an dich denken, alles alles Gute für jeden weiteren Schritt! Liebe Grüße aus Hamburg

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