Während ich bei meinem letzten Beitrag ewig darüber nachgedacht habe, worüber ich denn nun eigentlich schreiben will, fällt es mir für den Abschnitt Sulitjelma bis nach Abisko erstaunlich leicht. Das Thema, welches die letzten zwei Wochen maßgeblich geprägt hat, waren Veränderungen. Der Sommer hat sich stürmisch verabschiedet, ich bin von den einsamen Pfaden Norwegens in eines der am stärksten frequentierten Wandergebiete Schwedens gestolpert und vor allem hat sich die personelle Besetzung meiner Wandergesellschaft verändert. Insgesamt ganz schön viel Veränderungen für lediglich 10 Tage. Aber fangen wir vorne an.
Nach einem sehr entspannten Pausetage in Sulitjema ging es – wie sollte es auch anderes sein – erst einmal wieder hinauf in die Berge. Immerhin fast 1000 Höhenmeter galt es zu überwinden. Aber langsam macht sich das Training der letzten Wochen doch bezahlt: Erstaunlich schnell haben wir die ersten 400m bis zur Ny-Sulitjelma Hütte hinter uns gebracht und nach einer ausgiebigen Mittagspause vor der Hütte (es war zu dem Zeitpunkt noch angenehm warm), ging es in den zweiten Anstieg. Ich habe mittlerweile so viele norwegische Berge bezwungen, dennoch ist es jedes Mal wieder von Neuem besonders. Schritt für Schritt lässt man die grünen Ebenen und die Baumgrenze hinter sich, der Bewuchs wird immer kleiner und kleiner, bis erst nur noch Moos und schließlich nur noch Fels übrig bleibt. Zeitgleich weitet sich die Landschaft und gibt den Blick frei. So auch an diesem Tag. Plötzlich stehe ich mitten in der felsigen Einsamkeit, umringt von hohen, schroffen Bergen. Hier und da blitzen Gletscherzungen aus den hohen Wolken hervor und auf einmal sind auch die Altschneefelder wieder da. Was ein Anblick. Ich überquere einem hohen Pass und habe das Gefühl, als beträte ich eine neue Welt. Unter mir liegt ein türkisgrüner See an dessen Ende ich bereits die Sorjushütte ausmachen kann. Auf halben Weg nach unten treffe ich Stefan, es beginnt zu regnen und wir sind beide froh, als wir die Hütte erreichen und die Tür hinter uns schließen. Auch wenn wir die Wettervorhersage nicht kennen würden, spüren wir beide, dass sich da draußen etwas zusammenbraut. Da die Haupthütte fast voll belegt ist, beziehen wir die deutlich kleinere Nebenhütte. Es ist klein und eng, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Vom Tisch am Fenster haben wir den direkten Blick auf den türkisblauen See und die umliegenden Berge. Und man braucht nur zwei Stücke Holz, um den 10 Quadratmeter großen Raum faktisch in eine Sauna zu verwandeln. Abends, als ich zum Zähneputzen vor die Tür trete, weht ein seltsam warmer, böeiger Wind. „Ich bin gespannt, was er im Gepäck hat“, denke ich noch, als ich kurz darauf unter meine Decke krieche. Wenige Stunden später erwache ich von einem Knall, der mich fast aus dem Bett wirft. Nach kurzer Verwirrung wird schnell klar: Der warme Wind ist zu einem mächtigen Sturm angewachsen, der soeben die Tür der Hütte aufgerissen hat. Zum Glück nur auf- und nicht abgerissen…Ich schließe die Tür und lege mich zurück ins Bett. An Schlaf ist erstmal nicht zu denken. Die kleine Hütte ächzt mit jeder Böe, selbst mein Bett wackelt. Ich komme bekanntlich aus Norddeutschland und weiß was Wind ist. Das hier ist auf jeden Fall ein ausgewachsener Sturm. Angekündigt waren Windgeschwindigkeiten um 8-9 Beaufort. Die sind es laut dem Brüllen, Rumpeln und Scheppern da draußen auch. Auch als langsam der Morgen graut, nimmt die Intensität kaum ab. Auf dem See haben sich gewaltige Schaumkronen gebildet und von dem Versuch den Ofen zu befeuern, nehmen wir schnell wieder Abstand, als (erwartungsgemäß) ein umgekehrter Schornsteineffekt einsetzt und uns in kürzester Zeit einnebelt. Nun heißt es abwarten, denn in dem Wind mag keiner vor die Tür. Und es wäre sicherlich auch nicht ratsam. Erst gegen Mittag flaut es ein wenig ab und die Sonne blitzt hervor. Das ist unser Zeitfenster. Denn wenn man dem Wetterbericht trauen darf, wird es nach dem Wind wenige Stunden sonnig und mäßig windig sein. Und dann, wenn der Wind vollkommen zur Ruhe gekommen ist, soll der Starkregen einsetzten. Also los. Wir machen uns auf den Weg und werden schon auf den ersten Meter ordentlich herumgewirbelt. Jeder Schritt wird zum Balanceakt, denn mit unseren großen Rucksäcken bieten wir ordentlich Angriffsfläche. Dennoch, der Weg hinein nach Schweden und in den Padjelanta Nationalpark ist jede Mühe wert. Die offenen flachen Hochtäler sind auch beim meinem mittlerweile vierten Besuch in dieser Region immer wieder beeindruckend. Gegen 17 Uhr beginnt es immer stärker zu regnen und wir sind bis auf die Knochen nass, als wir in Stáddajåhkå ankommen. Die Hütten im Padjelanta Nationalpark werden von der Samischen Tourismusorganisastion verwaltet und sind ein wenig teuer als die norwegischen Hütten. Dafür sind sie alle mit Hüttenwart*innen besetzt, die für mehrere Wochen im Sommer für das Wohl der Wanderer sorgen und mit Glück auch frischgebackenes Brot und geräucherten Fisch verkaufen. Fisch gibt es heute nicht, aber zwei leckere Brotfladen bekommen wir von der sympathischen Hüttenwärtin. Während der Regen immer stärker aufs Dach prasselt, sitzen wir drinnen und hören die ein oder andere Anekdote aus ihrer Zeit hier oben, die mit dem Ende der Saison in wenigen Tagen ebenfalls vorüber geht.
Am Morgen hat es endlich aufgehört zu regnen und als wir – noch ein wenig müde um die Augen – aus der Hütte kommen, fällt es uns sofort auf: Die Luft ist klar und deutlich kälter als gestern noch. Man kann es riechen und spüren: nun ist er endgültig da, der Herbst. Und tatsächlich, bereits in der nächsten Nacht haben wir deutliche Minusgrade, die unsere Zelte in einen dicken Rauhreifmantel hüllen und den Atem gefrieren lassen. Mit jedem kommenden Tag nimmt die Herbstfärbung immer fantastischer Formen an und mittlerweile versinkt alles in einem gelb-rot leuchtenden Farbenmeer. Immer wieder bleibe ich staunend stehen, völlig überwältigt von dem Leuchten um mich herum.
Kurz nachdem sich der Sommer mit wehenden Fahnen endgültig verabschiedet hatte, gab es bereits die nächste Veränderung. Wie schon seit langer Zeit geplant, habe ich mich auf dem Padjelantaleden, einen Tagesmarsch von Änonjálmme entfernt, mit Wendelin, meinem Mann und Lieblingswanderpartner, getroffen, der mich – so zumindest ist der Plan – bis zum Nordkap begleiten wird. Neben der Freude über unser Wiedersehen nach so langer Zeit, ist alles auch ein wenig ungewohnt. Plötzlich bin ich nicht mehr alleine unterwegs, schlafe nicht mehr in dem kleinen Zelt, das in den letzten Monaten zu einem Stück Heimat geworden ist. Bin plötzlich nicht mehr nur für mich und mein eigenes Wohlergehen verantwortlich. Mit seiner Ankunft ist zudem „Zuhause“ ein ganzes Stück näher gerückt. Plötzlich denke ich wieder an die Arbeit, an meine Wohnung und all die Dinge, die zuhause passieren. Das ist auf keinen Fall negativ (schließlich mag ich mein Zuhause), aber es ist ungewohnt. Habe ich es im Laufe des Sommers so gut verstanden nur von Tag zu Tag zu leben (und zu denken), muss ich jetzt aufpassen, nicht schon mit dem halben Kopf wieder in den Alltag zu rutschen. Denn noch sind es ja einige Wochen, die da vor mir liegen. Aber das wird mir sicherlich gelingen und ich werde – nach ein bisschen Umgewöhnung – wieder mit ganzem Kopf und Herz hier draußen sein.
Der Tag an dem ich Wendelin treffe, ist zeitgleich auch der Tag der dritten großen Veränderung. Die vergangenen Monate war ich fast immer in Gebieten (oder auch zu Jahreszeiten) unterwegs, in denen wenige andere Menschen meinen Weg gekreuzt haben. Nun stehen wir plötzlich auf dem Padjelantaleden, der in den vergangenen Jahren – so zumindest meine Wahrnehmung – deutlich an Bekanntheit zugenommen hat. Plötzlich sind da ständig andere Menschen und nachdem ich zunächst meiner über Monate antrainierten norwegischen Gewohnheit folgend, mit jedem einen kurzes Gespräch beginne, stelle ich nach kurzer Zeit fest, dass das so nicht funktioniert. Oder ich dann zumindest nicht mehr von der Stelle komme. Also nur kurz grüßen und weiter geht’s. Richtiggehend überfordert bin ich, als wir in der Fjällstation in Ritsem ankommen. So viele Menschen auf so engem Raum habe ich seit langer, langer Zeit nicht gesehen. Eine gute Vorbereitung auf das, was kurz darauf kam. Nachdem wir zwei Tage im Regen und Wind nach Norden gelaufen sind, sind wir auf den nördlichen Kungsleden und somit wohl auf den am meist frequentierten Wanderweg Schwedens getroffen. Breite, tief ausgetretene Pfade, die aussehen, als sei eine Herde Rinder durchgezogen, viele Planken und unzählige Plätze, denen man ansieht, dass hier Menschen gezeltet haben. In steter Folge reihen sich große Hütten aneinander und auch jetzt zur Nebensaison begegnen einem am Tag mindestens 50 Menschen. Ich möchte hier gar nicht so negativ klingen, denn tatsächlich denke ich, dass der Kungsleden gerade unerfahrenen Wanderern die Infrastruktur bietet, die notwendig ist, um sicher die ersten Erfahrungen im hohen Norden zu machen. Und die Natur ist gigantisch. Man folgt die meiste Zeit einem langgezogenen Trogtal, rechts und links ragen hohe Berge auf, unter ihnen auch der Kebnekaise, mit 2097m der höchste Berg Schwedens. Nachdem wir die ersten zwei Tage vom Regen gebeutelt waren, bekamen wir an den zwei folgenden Tagen bei strahlendem Sonnenschein das ganz große Schauspiel mit atemberaubender Fernsicht geboten. Dennoch, ich ziehe die Einsamkeit vor. Und zudem sind die norwegischen Hütten nicht nur deutlich günstiger, sondern auch um einiges gemütlicher.
Um so mehr freute ich mich, als es nach einem sehr entspannten Pausetag in Abisko wieder zurück über die Grenze nach Norwegen ging. Aber dazu mehr in meinem nächsten Bericht (der hoffentlich nicht all zu lange auf sich warten lässt).
Das war sie also, die Etappe der Veränderungen. Wenn ich jetzt – mit einer Woche Abstand – zurückschaue, war es auf jeden Fall eine der spannendsten Etappen. Nicht unbedingt bezogen auf die Herausforderung durch Gelände und Wetter. Sondern einfach, weil plötzlich alles ein wenig anders war. Automatisch habe ich begonnen die letzten Monate zu reflektieren und viel darüber nachgedacht, wie er war, dieser Sommer und was diese Wanderung mit mir gemacht hat. Was ich mitnehme und mir in meinem täglichen Leben zuhause bewahren möchte. Und auch was nicht. Das ist auf jeden Fall ein sehr gutes Gefühl. Und dabei ist die Wanderung noch lange nicht vorbei. Mittlerweile haben wir den Øvre Dividalen Nationalpark durchquert und Kilpisjärvi in Finnland erreicht. Kaum denkbar, aber es ist die vorletzte Station auf meiner Wanderung. Von hier aus geht es nach 1-2 Tagen Pause weiter Richtung Alta und dann ist das Nordkap schon fast greifbar. Nun heißt es nur noch Daumendrücken, dass das Wetter hält und der erste Wintereinbruch dieser Tage von vorübergehender Natur ist.
Sehr schöne Aufnahmen! So kenne ich den Sarek auch schon im August (mit Zuckerhütchen)
Dir weiter viel Freude auf deinem tollen, langen Weg!
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Liebe Swantje, ich habe gerade in Ruhe Deinen Blog gelesen. Es könnte ein Drehbuch für einen Film sein. Wunderbar geschrieben! Viele Grüße von Anje
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Liebe Swantje, Dein Blog ist wunderbar geschrieben! Er könnte ein Drehbuch sein… Liebe Grüße von Anje
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Der Gedanke „Norge pa langs“ spukt immer wieder durch meinen Kopf und nachdem ich Simon’s Buch ein zweites Mal gelesen habe … erquicke ich mich wieder an deinem Blog. Als Hobbyfotograf lese ich zwar den gesamten Blog aufmerksam … verweile aber dann doch mehr bei Deinen Fotos und bin ein wenig neidisch. Für mich stellen sich aber zwei wichtige Fragen zum gesamten Reiseverlauf: Wie lief die Verpflegung und die Hygiene während der gesamten Zeit ab? Ich schmöker erstmal weiter …
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Hei TomErik, vielen Dank für deine Nachricht! Zu deinen Fragen: Verpflegung: Ich habe mir vorher genau die Essensmengen für die geplanten Etappen ausgerechnet und entsprechende Pakete gepackt. Diese habe ich nach Norwegen zu Freunden gebracht, die sie mir entsprechend zugeschickt haben. Für mich war das die optimale Lösung. So war in unabhängig und konnte es meist vermeiden nur um neues Essens zu besorgen in irgendwelche Ortschaften zu laufen, was ja meist auch eine Vielzahl an Straßenkilometern nach sich zieht. Zum Thema Hygiene: Naja, im Sommer habe ich fast jeden Tag gebadet und in den Hütten des DNT kann man ja auch gut mal Wasser warm machen zum Waschen. Und dann alle 8-12 Tage eine Dusche. Das ist dann ein echter Hochgenuß:-). Wenn du mehr Fragen hast, melde dich gerne! Viele Grüße, Swantje
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